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Bei Ankunft zerbrechen Träume

Im letzten Newsletter schrieb ich kurz über meine Arbeit in einem Bundesasylzentrum. Vor einigen Tagen wurde auf der Webseite des Schweizer Fernsehen SRF ein Artikel publiziert: "Geflüchtete helfen einander - Sie floh aus Syrien, jetzt berät sie traumatisierte Landsleute". In diesem Artikel steht ein Satz, der mich trifft: «Bei der Ankunft im Asylzentrum zerbrechen viele Träume auf ein baldiges, schöneres Leben.»

Da klingen bei mir gleich ein Dutzend unterschiedliche Facetten an:

  • Wir sind stolz auf unsere Schweiz, es ist das beste und schönste Land der Welt. Aber teilen wollen wir das nicht.
  • Unsere Touristiker geben seit Jahrzehnten Dutzende von Millionen Franken aus, damit das Bild der paradiesischen Schweiz im Ausland beworben und verankert wird. Aber wehe, es kommen die falschen Leute und "begehren Einlass".
  • Wenn Asylsuchende mit Bildern des Paradieses vor Augen (grüne Alpweiden, Schneeberge im Hintergrund, Uhren, teure Kleider und Markenturnschuhe) vor unseren Asylzentren ankommen, sind sie mit Securitas-Uniformen, strikten Hausregeln, Massenlager ohne Privatsphäre, konfrontiert und werden über private Dinge ausgefragt. Kein Wunder, wenn es sie dann durchschüttelt nach einer langen, strapaziösen und gefährlichen Reise.

 

 

Was mir zu denken gibt: Offensichtlich ist die jahrzehntelange Standort-Werbung von Schweiz-Tourismus im Ausland erfolgreich und verstärkt alte Klischees von grünen Wiesen, Taschenmesser/Uhren und Schokolade. Umgekehrt scheint es jedoch extrem schwierig, ein differenziertes Bild zu zeichnen und zu verankern, in welchem die Schweiz als Paradies für Asylsuchende nicht wirklich attraktiv ist.

Ich vermute, dass dies mit dem Film im Kopf zusammenhängt, der zu bestimmten Stichworten immer und sofort die gleichen Assoziationen hervorruft. Beispiele?

Wüste = Sanddünen  |  Toscana = Zypressen/Oliven, Florenz  |  Stummfilm = Charlie Chaplin, Dick und Doof  |  Orient = Bazar, Turban  |  Ägypten = Pyramiden, Nil  |  Rom = Kolosseum  |  Paris = Eiffelturm

Solche assoziative Bahnen sind extrem potent: Wer eine Reise in ein bestimmtes Land unternimmt, sucht meist die Bilder, die er/sie mit der Destination assoziiert. Können diese Bilder nicht bestätigt werden, sind Enttäuschungen programmiert.

 

 

Seien wir ehrlich: Es geht uns gut in der Schweiz. Wenn wir die Lebensumstände ansehen, aus welchen die meisten Asylsuchenden kommen und die die treibenden Faktoren für diese Form von Migration sind (politische Unsicherheit, Instabilität, Verfolgung, wirtschaftliche Misere, Korruption, Diskriminierung, fehlende Zukunfts-Perspektiven), ja dann haben wir es in der Schweiz mehr als nur gut ... Und dass dies attraktiv ist, liegt eigentlich auf der Hand.

Womit ich wieder am Startpunkt bin und gestehen muss, kein Rezept zur Lösung zu haben ...

In der Zwischenzeit kann ich aber zumindest versuchen, den Alltag der frustrierten Menschen etwas humaner zu gestalten.

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Heilig Abend in der Wüste

In der ersten zehn Jahren, als ich mit Gruppen in die Wüste ging, schlief ich immer im Freien. Egal, wie kalt oder wie viel Wind es hatte. Ich erinnere mich an viele wunderschöne, aber auch an einige echt harte Nächte aus dieser Zeit. Auf den Trekking-Routen hatte ich an den jeweiligen Biwakplätzen meine Lieblings-Schlafplätze. Einer der allerallerschönsten: In der Steinwüste von Marokko oberhalb einer Minioase, auf einem Steinhügel im spitzen Winkel des Zusammenflusses zweier kleiner Täler.

Ich schlief immer sehr leicht und erwachte oft. In der Nacht von Heilig Abend wohl gegen Mitternacht, erwachte ich aus dem ersten Schlaf. Ich schaute nach oben in den glasklaren, stockdunklen Nachthimmel, suchte Sirius, Beteugeuze, Aldebaran - all die starken Sterne, die um diese Zeit funkelnd aus dem Hintergrund-Glimmern der "normalen" Sterne herausstechen. Da saust die grösste Sternschuppe, die ich je sah, über den Himmel, hinterliess eine Leuchtspur auf meiner Netzhaut. Plötzlich bricht sie auseinander und die einzelnen Teilschnuppen verglühen mit kleinen Leuchtspuren am Himmel. Ich meine, mit deutlicher Verzögerung ein Explosionsgeräusch gehört zu haben. 

Diese Szene, erlebt in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember - das ist eine meiner liebsten und eindrücklichsten Erinnerungen an diesen Lebensabschnitt.

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Frühstück im Freien

Wir mögen das doch alle, Frühstück im Freien: ein schöner, warmer Sommertag, wir bringen Brot, Gipfeli, Kafi, Butter, Konfi, Müesli etc. auf den Balkon oder die Terrasse und geniessen, geniessen, geniessen .... Ah, das Leben ist schön.

Was ist, wenn es nicht sonnig und warm wäre? Was, wenn wir im Freien sind und keine Stube haben, in die wir uns bei Regen, Kälte und Schnee zurückziehen können?

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Der weisse Mann

1983, auf einem Markt in Westafrika. Ich möchte Fleisch kaufen und kämpfe mich durchs Gewühl. Irgendwann spüre ich eine eigenartige Bewegung auf meinem Handrücken. Ein kleines afrikanisches Kind reibt an meiner Haut, um zu schauen, ob die weisse Farbe weggeht.

Wie es merkt, dass ich es anschaue, schreit es wie am Spiess, panisch, versteckt sich hinter Mamma (eine jener afrikanischen Frauen, mit welchen man sich besser nicht anlegt - gross, breit, laut, energisch ...).

Erst später wird mir klar, was da abgegangen ist: In Schwarzafrika sag(t)en Eltern zu ihren Kindern: "Wenn du nicht gehorchst, holt dich der weisse Mann". Gleich, wie uns mit dem schwarzen Mann gedroht wurde. 

Bloss: In Westafrika war die Drohung mit einer brutalen, grausamen historischen Erfahrung, dem Sklavenhandel hinterlegt. Jene, welche vom weissen Mann geholt wurden, kehrten niemals zurück ...

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